Premiere im Forum-Theater: „Das Urteil“ Halten Sie sich als Jude für einen besseren Menschen?
Das Zweipersonenstück „Das Urteil“ im Forum-Theater verknüpft spannend ein Verbrechen mit philosophischer Analyse.
Cord Beintmann
Mehr als seltsam ist, was dem New Yorker Buchantiquar Siegfried Rabinovicz widerfährt. Seit 45 Jahren fahndet er vergeblich nach einer wertvollen Haggada, einem Büchlein mit Texten zum jüdischen Pessachfest aus dem Jahre 1900 – nun drückt ihm eine unbekannte Person am New Yorker Flughafen exakt eine solche Kostbarkeit in die Hand. Als Gegenleistung soll er seinen Platz nach Hamburg einer ihm unbekannten Person überlassen und einen Flug später nehmen. Nun sitzt Rabinovicz (ernst und kühl: Udo Rau) im Wartebereich und kommt mit dem Deutschen Markus Schlüter (locker-temperamentvoll: Ralph Hönicke) ins Gespräch.
Unterkühlt mit weißen Edelsesseln hat María Martínez Peña die Bühne gestaltet, auf der sich das Zweipersonenstück „Das Urteil“ (1999) von Paul Hengge entfaltet. Sehr glaubwürdig, authentisch verkörpern die Darsteller einen aufregenden Dialog. Rabinovicz soll in einem Mordprozess als der entscheidende Zeuge aussagen. Auf einem Kreuzfahrtschiff wurde er mutmaßlich Zeuge, wie der Verleger Gerd Wolf den Milliardär Hamilton erstochen hat, der den Verleger wirtschaftlich ruiniert hat. Kann Rabinovicz die Tat glaubhaft bezeugen oder nicht? Darüber entspinnt sich ein Streitgespräch zwischen dem Antiquar und Schlüter, der sich zu einem scharfsinnigen Verteidiger des Angeklagten aufschwingt. Eine besondere Grundierung erhält die Auseinandersetzung, weil Rabinovicz, Jude, in Leipzig geboren, Sohn eines Vaters, den die Nazis ermordeten und als Kind Insasse eines Vernichtungslagers, von dem furchtbaren Schicksal seiner Familie erzählt.
Die immer wieder auch philosophisch-moralistische Auseinandersetzung ist heftig. „Warum halten Sie sich für einen besseren Menschen? Weil Sie Jude sind?“, geht Schlüter den Antiquar an. „Das Urteil“ ist auch ein Stück über Kommunikation. Sehr sperrig beginnt das Gespräch der beiden Männer, dann gewinnt es an Fahrt, gegen Ende wird es existenziell. Verschiedenes macht dieses Stück interessant: Hoch gespannt verfolgt man die Analyse eines Verbrechens. Dann bearbeitet der Autor Traumata seines Protagonisten Rabinovicz, die dessen Handeln nach Jahrzehnten vielleicht noch beeinflussen – die historische Schicht des Dramas, das zudem mit einem heftigen Wortwechsel über Gerechtigkeit, Vorurteile und Manipulation aufwartet. Edith Ehrhardt (Regie) hat das alles in Dialogregie und Tempo absolut stimmig in Szene gesetzt.
StZPlus, 11.04.2025