Premiere am 18. Juni 2020

Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe

Von Peter Hacks

Mit Martina Guse
Regie: Karin Eppler
Bühne und Kostüme: Vesna Hiltmann

Eingeladen zum „Monospektakel 2022“ – Festival, Reutlingen

1786 Weimar ist schockiert. Knall auf Fall war Goethe abgereist und hinterließ Fragen über Fragen… Eine Schuldige war schnell ausgemacht: Charlotte von Stein, seine langjährige Geliebte.

„Ich bin nun die Ursache davon, dass er uns heimlich verlassen hat, über Nacht, unangekündigt, ohne Abschied oder Erlaubnis. Der Staat ist ohne Minister, der Hof ohne Spielmeister, das Theater ohne Direktor, das Land ohne seinen großen Mann.“

So steht nun Charlotte von Stein ihrem Ehemann Rede und Antwort. Dabei erfährt der Zuschauer nicht nur wie eine Liebe zart entstand; Der Zuschauer darf auch einen unbekannten Blick auf ein Genie werfen. Goethe ein wetterfühliges Enfant terrible? Goethe ein schwer erträglicher Zeitgenosse? Goethe in Zorn und Ungeduld und glücklos im Werben um die Frauen? In der Kunst konnte er alles im Leben nichts?

Hacks legt mit seinem Text charmant, respektvoll einen uns unbekannten Goethe frei. Er lässt uns das Genie in vielen Facetten neu entdecken. Eine Ikone wird nahbar, neu erzählt. In Zeiten, in denen wir viele „tradierte Männerbilder“ zu Recht als Setzung hinterfragen, ist die Rede der Frau von Stein sicher eine der erhellendsten und vergnüglichsten Blicke auf einen großen Mann.

Eine verliebte Grande Dame

Keineswegs aus der Zeit gefallen: Das Monodrama „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ von Peter Hacks im Stuttgarter Forum-Theater zeigt eindrücklich, wie verkappt Liebe sein kann.

Die Schauspielerin Martina Guse überzeugt als Charlotte von Stein, in einem Monolog über ihre Liaison mit Johann Wolfgang von Goethe.

Stuttgart – Die Phasen einer Liebschaft: so einzigartig wie sie für jeden erscheinen, so ähnlich sind sie sich oftmals. Im Programmheft der Uraufführung steht, dass dies ausdrücklich kein Stück über die Frau im Allgemeinen sei. Doch wer mal in der Lage des unglücklich Verliebten war – ob Mann oder Frau –, der kann eventuell jene Phasen nachempfinden. Angefangen bei der Verleugnung des Geliebten, dem Selbstschutz, sich nicht vollends zu offenbaren, der Verletzlichkeit, bis dies gipfelt in der Erkenntnis, völlig in einer toxischen Liebe gefangen zu sein. Welche nur davon übertroffen wird, wie ein gefühlsduseliger Teenager zu glauben, diese Liebe hätte doch noch eine letzte Chance. Um dann umso tiefer zu fallen – weil es sich eben nicht bewahrheitet.

Ein Geliebter, der den Vergleich mit Gott nicht scheute

In dem 70-minütigen Monolog spricht Charlotte von Stein (gespielt von Martina Guse) über die zehn Jahre währende wankelmütige Beziehung zu dem von ihr als Genie und gleichermaßen unausstehlichen, aber doch als die Liebe ihres Lebens ausgerufener Johann Wolfgang von Goethe. Auf der Bühne, als sprichwörtlicher Schatten seiner selbst und somit zum Zuhören und Schweigen verdammt, ist ihr Ehemann, Josias. Das übermächtige Bild, welches von Goethe auf der Bühne gezeigt wird, nimmt alles ein. Er selbst kann nicht da sein – ist er doch aus Weimar geflohen, weil die Geliebte die Affäre beendete.

Stein präsentiert sich in einem feinen weißen Brautkleid, das durch den krassen Kontrast einer gelben, dick gestrickten Jacke und farblich passenden Schuhen auf die gravierenden Gegensätze zwischen zarter Liebe und groben Beleidigungen verwies. Die Protagonistin wandelt rastlos auf der Bühne hin und her. Liebe und Goethe in einem Satz? Keinesfalls – jenes Genie, das auch den Vergleich mit Gott nicht scheute. „Ich ertrug es“, ist ihre erste, nüchterne Bilanz dieser Affäre.

Wie ein Gespräch im engsten Freundeskreis

Um sich dann sogleich selbst auf den Sockel zu stellen – ja nur ihretwegen sei Goethe das, was er jetzt ist. Steins erzieherische und doch gleichgültige Art ließe ihn zur Hochform auflaufen. Sie, die so bemüht war, anders zu sein als all die anderen. Wissentlich verletzte sie ihn, um mehr Aufmerksamkeit zu ergattern. Nun: es war also doch Liebe. Ein Eingeständnis – gestammelt von der Grande Dame. In der letzten Hoffnung fühlte sie sich stark, von Liebe erfüllt und wartete sehnsüchtig auf die Hochzeit mit Goethe. Vergebens.

Martina Guse nimmt einen mit auf die Gefühlsachterbahn der Charlotte von Stein. Dem Monodrama fehlte es zu keiner Zeit an einem Gegenspieler. Guse verkörpert die Ambivalenz dieser besonderen Affäre zwischen der verheirateten von Stein und dem in seiner Charaktereigenschaft schwer zu fassenden Goethe so gut, dass man zwischenzeitlich das Gefühl bekommt, diese Höhen- und Talfahrt kenne man bereits aus anderen Monologen aus dem engsten Freundeskreis. Und im Theater wie auch im echten Leben möchte man etwas aufbauendes zurufen. Doch das wäre hier wie dort meist: Vergebens.

Von Veronika Kanzler 19. Juni 2020