Stuttgarter Zeitung, Kulturreport, Ausgabe: Oktober 2022

BACKSTAGE: NEUER INTENDANT IM FORUM THEATER

Nelle folgt auf Woitinas

„Theatermenschen können sich das kaum vorstellen“, sagt Elke Woitinas und lacht, „aber es gibt ein Leben nach dem Theater.“ Genau dieser Erfahrung wird sich die Mitbegründerin und langjährige Intendantin des Forum Theaters nun aussetzen. Sie übergibt mit Beginn der neuen Spielzeit den Stab an Dieter Nelle, der schon seit einiger Zeit als Co-Intendant die Geschicke des Theaters in der Gymnasiumstraße geleitet hat. Eigentlich hätte diese Übergangszeit ein wenig
länger dauern sollen. Aber im Frühjahr, so sagt sie heiter, habe es sich anders ergeben „Es gibt eine innere Zeit der Lebensdinge. Und der Impuls, zu 100 Prozent Theater zu machen, wurde immer weniger.“ Das ist zu Ende, war das Signal, gefolgt von der Frage an Dieter Nelle: „Wie stehst Du dazu?“ „Was soll ich machen“, meinte der nur. Und so ging nun alles schneller als gedacht. Trotzdem ist es ein harmonischer Übergang. Denn Dieter Nelle geht schon seit 14 Jahren im Theater als Regisseur ein und aus und hat hier schon viele erfolgreiche Produktionen auf die Bühne gebracht. Auch die Schauspielerinnen und Schauspieler
kennt er gut. „Er passt wunderbar ins Team und ist von allen voll akzeptiert“, bestätigt Elke Woitinas. Nelle versteht sich als Teamplayer, was dem Ensemble absolut entspricht. In seiner Position als Intendant kommen natürlich nun noch weitere Aufgaben auf ihn zu, doch dem sieht er gelassen entgegen. Den Schritt in diese Art von Autonomie empfindet er als reizvoll. Und da er lange Zeit auch in der freien Theaterszene gearbeitet hat, ist ihm die mit einer solchen Stelle
verbundene Bürokratie, wie zum Beispiel das Stellen von Anträgen, durchaus geläufig, wie er amüsiert versichert. In der kommenden Spielzeit, das hat er sich vorgenommen, wird er keine auswärtigen Inszenierungsaufträge übernehmen und sich voll auf seine neue Rolle konzentrieren. Wobei Elke Woitinas keineswegs, wie sie sagt, aus der Welt ist. Im Trägerkreis des von ihr mitbegründeten Forum 3 wird sie weiterhin mitarbeiten und deswegen im Haus immer wieder präsent sein. „Wir haben gut zusammengearbeitet“, sagt sie über die gemeinsame Zeit mit Dieter Nelle. „Es ist für mich völlig organisch, dass er nun übernimmt. Und ich bin so etwas von beruhigt, dass das so weitergeht.“

Zum Profil des Forum Theaters gehört es schon immer, Stücke auf den Spielplan zu bringen, die weniger tagespolitisch von Bedeutung sind, sondern auch eine allgemein menschliche Dimension besitzen. „Es ging mir immer darum, das in den Mittelpunkt zu stellen, was Menschen tiefer bewegt“, so Elke Woitinas. „Dieter hat dafür auch ein Händchen.“ Bleiben wird auch die Handschrift des Regisseurs Dieter Nelle, dem es immer ein großes Anliegen ist, in den Stücken gegensätzliche Standpunkte und Beweggründe verständlich zu machen, sie aufeinanderprallen zu lassen. „Gegensätzliche Positionen bringen mehr Tiefe hervor“, weiß Elke Woitinas. Den aktuellen Spielplan hat sie noch mitgestaltet. Darauf finden sich als Premieren „Momentum“ (Premiere 6. Oktober), „Die Perser“ von Aischylos (Premiere 28. Januar) und die Komödie „Paarlaufen“ von Jean-Michel Räber (Premiere 18. März). Im Oktober gibt es die Wiederaufnahme der Produktion „Der Waldspaziergang“, die mit dem Monica-Bleibtreu-Preis ausgezeichnet wurde, als Gäste werden die Gebrüder Lüger „Der Baron von Münchhausen“ vorstellen – Comedy zwischen Slapstick und Poesie – , außerdem „Die Geschichte vom Soldaten“ in der Fassung für drei Musiker
und einen Sprecher, wie Igor Strawinsky sie original selbst komponiert hatte. Und natürlich fehlen nicht die Mitglieder der Famiglia Dimitri.

Dieter Nelle wird auf Kontinuität achten und eigene Akzente setzen. Was ihm am Herzen liegt: Er möchte auch junge Schauspielende auf die Bühne holen. Und er wird 2023 erstmals ein kleines Festival für Privattheater aufsetzen. Eine Idee, die bereits viel Beifall gefunden hat. „Die Theater kommen gerne“. Zugesagt haben bereits das Theater Lindenhof aus Melchingen mit einem Heinz-Erhard-Abend aus der Feder von Susanne Hinkelbein, die Theaterei Herrlingen, die 2021 den Monica-Bleibtreu-Preis gewonnen hat und eine aufwendigen Produktion mitbringt, sowie das Wallgraben-Theater aus Freiburg, ebenfalls mit einer großen
Inszenierung. gab

Nelle folgt auf Woitinas
Dieter Nelle übernimmt als Intendant das Staffelholz von Elke Woitinas.
Mit freundlicher Genehmigung der Stuttgarter Zeitung