Premiere am 06. Oktober 2016

Iphigenie auf Tauris

Von Johann Wolfgang von Goethe

Mit Britta Scheerer, Schirin Brendel, Martin König, Michael Ransburg und Udo Rau
Regie: Dieter Nelle
Bühne: Marcel Keller
Kostüme: Katrin Busching

Heute kommen die Flüchtlinge in Griechenland an, in Goethes Iphigenie erreichen zwei griechische Exilanten heimlich eine Insel und werden gefangen genommen. Der eine ist bis an den Rand des Wahnsinns traumatisiert, der andere sein Begleiter. Ihnen wurde versprochen, sie würden an diesem Ort Erlösung finden, aber das stellt sich schnell als Irrtum heraus. Lange Jahre wurden Fremde auf Tauris zwar freundlich empfangen, aber nun sind die Grenzen dicht und Fremde sollen wieder, wie früher, geopfert werden.

Die Fremden treffen auf eine weitere Exilantin, auch sie ein traumatisiertes Gewaltopfer, das hierhin gerettet wurde: Iphigenie – und auch sie Griechin. Es ist ihr gelungen, die dort zum Alltag gehörenden Menschenopfer abzuschaffen. Aber sie blieb eine Fremde unter Fremden. Tauris ist weitab von Griechenland. Nun kehrt Thoas, der König der Taurer, nach einem siegreichen Feldzug, in dem er den Tod seines letzten Sohnes rächte, zurück und begehrt Iphigenie zur Frau. Er will einen neuen Erben für sein Reich. Als sie sich ihm verweigert, beschließt er, die Grenzen wieder dicht zu machen und die Menschenopfer wieder einzuführen. Iphigenie kann die Fremden retten, wenn sie sich zu einer Ehe mit Thoas entschließt – doch es stellt sich heraus, dass einer der Fremden ihr Bruder Orest ist. Mit ihm und seinem Gefährten Pylades könnte sie zurück nach Griechenland. Aber dazu muss sie Thoas betrügen.

Goethes Iphigenie ist ein Stück über die beunruhigende Gegenwart des Vergangenen – oder was es kostet den Rückfall in die Barbarei zu verhindern. Also eine Menge Gegenwartsstoff in eine klassische Hülle verpackt – und das in einer sprachlichen Form, die in der deutschen Sprache nicht oft erreicht wurde.

»[…] Orests Mutter Klytämnestra hat seinen Vater Agamemnon ermordet, Orest bringt deshalb seine Mutter um.

Bei den Tauriern, die auf der heutigen Krim leben und für die Griechen Barbaren sind, sollen Orest und sein Freund Pylades als Menschenopfer getötet werden. Orests Schwester Iphigenie fungiert dort als Priesterin der Göttin Diana. Auch Iphigenie sollte geopfert werden, doch Diana hat sie zu den Tauriern gerettet. Dort, in der Fremde, fühlt sie sich wie eine Sklavin, und ein Heiratsantrag des Taurierkönigs Thoas erschreckt sie geradezu.

Im Forum-Theater hat Marcel Keller die gesamte Bühne geflutet. Die Akteure stapfen durch das Wasser oder liegen auch mal darin. Natürlich ist das Wasser ein Bild für das Meer, das sich zwischen Griechenland und Tauris erstreckt, und damit auch ein Symbol für die Distanz zwischen Fremden.[…]

Britta Scheerer spielt die Iphigenie als eine mutige Kämpferin, die zugleich anrührend offen ihre Gefühle zeigt. Michael Ransburg als Orest lotet mit seiner suggestiven Stimme die Untiefen dieser zerrissenen Figur aus.

Sehr klar und prägnant hat Dieter Nelle das Stück inszeniert, mit spannungsvollem Wechsel zwischen ruhigen Monologpassagen und dramatischen Dialogen.

Unerhört  aufregend gerät am Schluss der Schlagabtausch zwischen Iphigenie und Thoas (wunderbar klar mit sparsamem Spiel: Udo Rau). Iphigenie setzt Humanität gegen schaurige Gewalt durch. […]

Stuttgarter Zeitung, 07.10.16